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Heinz Bude Die Ausgeschlossenen

Die „Ausgeschlossenen“, so Bude lakonisch, „sind jene, die übrig bleiben, wenn die Arbeit verschwindet“. All das wissen wir und erleben es jeden Tag aufs Neue. Sehenden Auges lassen wir es geschehen. Doch eine Geiz-ist-geil-Gesellschaft der Schnäppchenjäger flüchtet blindwütig ins Rette-sich-wer-kann. Das Thema der sozialen Gerechtigkeit dient für gewöhnlich, um die Ressentiments des Neids zu wecken. Ansonsten gilt es auch in der Politik wie in den Sozialwissenschaften als eher unsexy: wenig Erfolgsaussichten, sehr mühevoll, überaus kostenintensiv, wenig Anerkennung, steter Anlass für schlechte Laune – ein echtes Nörglerthema. Insofern lässt sich Budes Traktat über die Ausgeschlossenen als dringlicher, geradezu überfälliger Appell an die eigene Zunft verstehen, statt sich mit anonymen Statistiken zu beschäftigen, wieder zu den Sachen selbst zurückzukehren – bevor es zu spät ist.
(Christian Schlüter, Frankfurter Rundschau 11.03.2008)

Heinz Budes Stärken liegen in der differenzierten Beschreibung von Facetten des Ausgeschlossenseins. Nach dem theoretischen Vorspiel, das natürlich auch mit Zahlen untersetzt ist, hebt sich der Vorhang. In dichten Beschreibungen werden Orte, Gruppen, Akteure, Erscheinungen, (Über)Lebensstrategien dargestellt. Da geht es um verlorene Orte auf dem Lande im Nordosten der Republik, um ethisch geprägte Wohn- und Geschäftsviertel in den großen Städten. Es wird das Leben von Migrantenjugendlichen im Spannungsfeld von Tradition und den Anforderungen der Gesellschaft beschrieben. Das der jungen Männer mit ihren Reaktionen auf die Mischung von unsicherer Lebenslage und biografischen Übergangsphase.
(Volker Saupe, Berliner Zeitung 23.05.2008)

In sprachlich eindrucksvollen Miniaturen durchstreift Heinz Bude die Milieus des Ausschlusses: die Jugend auf dem Land im Osten: „Die Orte der Verlorenen liegen in Deutschland auf dem Lande.“ Oder die Orte des „städtischen Exils“, in denen die jungen, oft nicht-deutschen Männer einen „Kult der spektakulären Lebensführung zelebrieren“, dem aber das alte Zusammengehörigkeitsgefühl früherer Banden fehlt: Sie wüten gegen eine offene Gesellschaft, die bei ihnen immer nur Selbstverantwortung einklagt. Vom Drama der alleinerziehenden Mütter ist ebenso die Rede wie vom verlorenen Leben jener Generationen in der ehemaligen DDR, die vor zehn bis 15 Jahren zu jung für die Rente und zu alt für einen beruflichen Neuanfang war.
(Thomas Schmid, Die Welt 08.03.2008)

Am stärksten beeindruckt die Analyse der Befindlichkeiten der ostdeutschen Landwirtschaftsindustriearbeiter. Budes Analyse blendet die politischen Verhältnisse in der früheren DDR vollkommen aus, und doch fühlt man sich zu der Frage gedrängt: Haben die Arbeiter keine Stasi, keine Willkür und keine Mangelwirtschaft gekannt? Für das Selbstwertgefühl kommt es darauf in der Tat nicht an. Entscheidend ist, dass sich die Arbeiter als Avantgarde des sozialen Fortschritts gefühlt haben und dass dieses Bewusstsein durch die Wende ernstlich verletzt wurde. Die Verletzung führte zu Hass auf den Westen und auf die Ausländer. Ausschließung im Falle der DDR also nicht das Ergebnis einer falschen Politik oder von Ausbeutung oder Verschwörung, sondern die Folge einer Entwicklung und Veränderung der Gesellschaft, gleichsam die Bruchzone einer tektonischen Verschiebung im Sozialen. Nicht minder beeindruckt, wie der Verfasser einen Gesichtspunkt in die Diskussion einführt, den soziologische Darstellungen eher auszublenden pflegen: den Körper. Bei ihm enden die Prozesse des sozialen Ausschlusses. Zuerst wird der Körper ausgespielt, in Sex, Gewalt und Drogen. Er ist das einzige Vermögen, das der Ausgeschlossene noch hat. Mit ihm kann er angeben und im ersten Zugriff herrschen. Aber dann verbraucht sich der Körper schneller als bei den „Eingeschlossenen“, durch Rauchen, falsche Ernährung und zu wenig Bewegung. Was soll man dazu sagen? Der Rezensent findet keinen Ansatz für Widerspruch, aber Grund für großes Lob. Bude hat die Realität klar und treffend beschrieben und uns aus dem „Traum der gerechten Gesellschaft“ gerüttelt. Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass sich die Struktur der Gesellschaft zwar an der individuellen Person orientiert, dass die Gesellschaft aber gerade deshalb auf das konkrete Individuum nur wenig Rücksicht nehmen kann.
(Gerd Roellecke, Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04. 2008)