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Heinz Bude Das Altern einer Generation

Die antiautoritäre Studentenbewegung – Ausdruck eines unbewußten Kriegstraumas, von dem das Lebensgefühl dieser Generation untergründig stets beeinflusst blieb: hierin sieht Bude den eigentlichen Ursprung der spezifischen „Lebenskonstruktionen“, die in den späten sechziger Jahren in sozialen Bewegungen Gestalt annahmen. Die Äußerungen der Zeitungen als Chiffren eines unbewußten „Herkunftskomplexes“ zu verstehen, mag nicht jedermann gefallen. Eines machen Budes meisterliche Seelenkonfigurationen jedoch auf jeden fall deutlich: die Kontinuität eines mentalitätsprägenden deutschen Geschichtsverlauf, dessen Gängelband auch die 68er nicht zu durchtrennen vermochten.
(Thomas Medicus, DER TAGESSPIEGEL 22.-26.03.1995)

Lange genug ist im Gefolge des gesellschaftswissenschaftlichen Booms nach 68 die Literatur soziologisiert worden. Heinz Bude literarisiert die Soziologie und schafft dabei eine neue Form, einen legitimen Sproß nicht nur der Generationsforschung von Karl Mannheim und Helmut Schelksy, sondern auch eines untergegangenen literarischen Genres des Bildungsromans. […] Heinz Bude hat ein spielverderberisches Buch geschrieben, dem der Widerstand der Zielgruppe gewiß sein sollte: In dem Moment, in dem die 68er ihre Deutung der Revolte – als initialen Moment der „eigentlichen“ bundesrepublikanischen Geschichte – bis in die offiziösen Reden der Weizsäckers und Vollmers durchsetzt haben, lenkt er den Blick zurück auf die Zeit, der die „Lebenskonstruktionen“ (Bude) der Revoltierenden entstammen. Das deutsche 68 rückt in dieser Perspektive weit ab von Berkeley, Swinging London und dem Pariser Mai – und zurück in die Wohnküchenwelt der zerbombten Städte.
(Jörg Lau, taz 27./28.05.1995)

Der grüne Rebell von einst signalisiert mit seiner Biographie und mit seinem Verhalten, daß seine Generation – also auch viele politisch engagierte 68er – endgültig „eine Rolle im Familienroman der Bundesrepublik gefunden haben“, wie es Bude formuliert. Sie haben Frieden gemacht mit Deutschland, die Freaks und Spontis und Ökos von einst. Sie wollen dazugehören, als „Macher“.
(Jürgen Leinemann, DER SPIEGEL 29.05.1995)

Unter dem Titel „Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938 bis 1948“ (Suhrkamp) hat Heinz Bude soeben ein Buch veröffentlicht, das ein Politikum ist. Bude beschreibt darin die Generation der Schröders, Lafontaines und Scharpings, der Simonis und Engholms. Die Leute, die heute dran sind. Sein Urteil: 1968 sei eine Generation von Kriegskindern auf günstige Verhältnisse gestoßen. Ein diffuses Unbehagen habe die Bedingungen für eine wirkungsvolle Artikulation gefunden, aber die Motive des Protestes von damals erklärten nicht den Erfolg der sozialen Bewegung. Weil sich dieser Generation die Chance geboten habe, ein bißchen auf der wilden Seite zu leben, so fährt er fort, würden sie heute als Heroen eines „in Wahrheit anonymen sozialen Wandels“ angesehen. Das Dilemma: Den 68ern fehle ein Begriff sowohl ihres Ursprungs als auch ihres Erfolges. „Dabei wissen sie selbst nicht“, schreibt er, „woher sie kommen, was sie wirklich erreicht haben und wohin sie gehen“.
(Gunter Hofmann, DIE ZEIT 30.06.1995)

Man muß dem Autor nicht in dieser und anderen Interpretationen folgen, um sein Buch spannend zu finden. Bei all seiner Unbarmherzigkeit mit den Interviewten, bei aller Neigung, sie in Grund und Boden zu rezensieren, fördert er doch auch Einsichten und Beobachtungen mit Witz und Poesie zutage und weist auf gesellschaftliche und individuelle Mechanismen hin, die gerne aus dem Blickfeld geraten, weil sie einem so unangenehm sind. Wer sich drauf einläßt, weiß nach dieser Lektüre vielleicht ein bißchen mehr über die Zeit um 68 und über sich selber. Bei dem massenhaften Angebot an Unterhaltungsliteratur ist es ja vielleicht mal ganz abwechslungsreich, sich durch Gesellschaftstheorie zu beißen. Insofern ist das „Altern einer Generation“ von Heinz Bude Futter fürs Hirn, al dente.
(Johanna Müller, Norddeutscher Rundfunk 14.08.1995)

Budes Buch ist ein faszinierendes Plädoyer für die Einhaltung des Generationsvertrages. Das Erinnern an die ››elterliche Tradierungsaufgabe, die doch darin besteht, den eigenen Nachkommen Zukunft zu eröffnen und nicht Zukunft zu schließen‹‹, hat keinen feindlichen Ton, sondern ist die Erinnerung an die Conditio humana: daß in jeder Lebensstufe gerade auch über die jeweilige biologische Zumutungsseite ein Schutz und Halt zuwächst.
(Johannes Dirschauer, PSYCHE, Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen)