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Heinz Bude Die ironische Nation

Immer wenn von der ››Berliner Republik‹‹ die Rede ist, von den Chancen und Schwierigkeiten einer neuen und weniger schwerfälligen Art der deutschen Selbstwahrnehmung, von den Problemen und Perspektiven der Generationen, für welche die Zeit der Gruppenexperimente von der Kommune I bis zur RAF nichts als Plusquamperfekt ist, dann stößt man auf den Namen Heinz Bude. Mit seinen Büchern und Zeitschriftbeiträgen hat er sich schnell in die hierzulande kleine Gruppe derjenigen Sozialwissenschaftler hineingeschrieben, die in der an Aufklärung (aus welchen Motiven auch immer) interessierten Öffentlichkeit mit Aufmerksamkeit und Resonanz rechnen können. […] ››Die Stadt und ihr Preis‹‹ ist zu einem schönen, klaren und ruhigen Loblied auf die Doppelgesichtigkeit der modernen Stadt geworden, die das ››Gefühl urbaner Jetztzeit‹‹ erwecken kann, ››die das Leben oder die Welt ändert‹‹ (S. 172). Dieser Essay wirkt stellenweise brillant. Zum Schluß dann ››Am Ende ratlos‹‹, Anmerkungen über den ››Zivilisationsbruch‹‹ der nationalsozialistischen Makroverbrechen und die hilflosen Versuche der Soziologen, sie so zu erklären, daß man, hätte man über solche Erklärungsansätze vor 1933 verfügt, sie hätte voraussagen (und damit vielleicht wirkungsvoll verhindern) können.
(Wilfried von Bredow, Jahrbuch für Extremismus & Demokratie 12. Jg. 2000)

Zwar sei „die Ironie die höchste Form der Reflexivität. Mit Hegel könnte man sie als die Bewußtseinsform für das das Ende der Geschichte ansehen. Was aber kommt nach der Ironie?“ – fragt sich Bude. In den übrigen Essays des Bandes läßt er, mehr oder minder durch dieses Raster verschiedene Zeittendenzen Revue passieren: Themen, Stimmungen, Lebensformen – manche sind offenbar dringliche Themen wie Stadt, Familie oder Religion, andere wie Erotik, Medien oder Popkultur fehlen ebenso offenkundig. Im Hintergrund steht stets die Frage nach dem – stillschweigenden oder ausdrücklichen – Geschichtsverständnis, das Bude aufleuchten läßt, um die jeweiligen Kreuzwege zu markieren, an denen wir stehen. […] „Soziologie als Zeitdiagnose“, lautet der Untertitel – und Bude spart die blinden Flecken der Gesellschaftswissenschaft nicht aus. „Wieso kann die Soziologie so tun, als sei sie von Auschwitz nicht betroffen? Die Antwort lautet in einem Satz: Ein ´Zivilisationsbruch´ ist soziologisch nicht denkbar. Was auch geschieht, es geht immer weiter“. Kein Wunder, ist man versucht zu sagen, daß die Soziologie ein paar Jahrzehnte lang als Medium gesellschaftlicher Selbstreflexion galt. Budes Buch ist beides: ein Beispiel dieser Selbstbeschränkung, und der Reflexion darüber.“
(Eike Gebhardt)

In seiner Sammlung stilistisch brillanter und schon deshalb lesenswerter „Zeitdiagnosen“, die der Soziologe Heinz Bude unter dem Titel „Die ironische Nation“ vorlegte, handelt einer der Essays von der Kategorie der Kultur in den Sozialwissenschaften. Es ist da im Blick auf den „kulturellen Relativismus“ von der „Panik“ die Rede, die entstehen kann, „wenn die Ahnung entsteht, daß […] alles auch anders möglich ist“, dass „eine Kultur aus sogenannten historischen, und das heißt: letztlich kontingenten Gründen über die Regeln der Angemessenheit und Vernünftigkeit befindet“.“
(Thomas Anz, www.literaturkritik.de)

Seine in „Die ironische Nation“ […] versammelten Aufsätze haben durchweg das, was Schwaben Frische, Franzosen Eleganz des Denkens und Hesoid den Kuß der Muse zu nennen pflegen. Bude hat Hesoids Erkenntnisprinzip einfühlsam in die Moderne übersetzt. Daß der Musen-Ansatz aufgeht, verdankt der Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung seinem flottierenden, ganz der Kontingenz verschriebenen Kulturbegriff. Der Essay „Kultur als Problem“ darf deshalb wie eine verschlüsselte Bauanleitung zu Budes soziologischem Design gelesen werden. Hier spricht er aus, wie er als Beobachter von Kultur zu analytischen Schlüssen gelangt, die ihre Kraft aus der Eingebung des Augenblicks gewinnen. Demnach hat Bude seinen Aussichtsturm „auf einer Metaebene“ platziert, „wo das Eigene mit dem Fremden genußvoll konfrontiert werden kann“. Dort fühlt er sich als „Wilder“ in einer geschlossenen Welt, „wo an jeder Ecke bezaubernde oder beängstigende Überraschungen zu erleben sind“. Da es an jeder dieser Ecken auch ganz anders zugehen könnte (Kontingenz), kommt alles darauf an, sich der Inspiration zu überlassen.
(Christian Geyer, Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.04.1999

In seinem eindrucksvollen Schlusskapitel gibt Heinz Bude selbst einen indirekten Hinweis, auf welch einer tiefen Ebene die Erfahrungen liegen, deren öffentliche Reflexion einzig dafür bürgen könnte, dass das erreichte zivilisatorische Niveau bei dem Umzug nach Berlin keinen Schaden nimmt. In dem Text Am Ende ratlos wundert sich der Soziologe über das Unvermögen seiner Disziplin, sich über den „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) dieses Jahrhunderts angemessen Rechenschaft abzulegen. Strukturprägende Ausnahmesituationen und katastrophische Brüche sind nicht die Sache der Soziologie. Sie ist eine Komplizin der Kontinuität. Den Grund dafür vermutet Heinz Bude in dem Faktum, dass es auf der Ebene des Sozialen kein Analogon zum Phänomen des Todes (und der Geburt!) gibt. So kann die Soziologie nur erklären, wie es trotzdem immer weiter geht.
(Helmut Dubiel, DIE ZEIT 24.06.1999)

Was das Buch zusammenhält, ist auch weniger die Aktualität, mehr die Brisanz der Themen. Also Zugluft, ein pfeifendes Windchen kommt auf unter dem von Bude eingeschmuggelten Gesichtspunkt, daß 1989 nicht nur die DDR, sondern auch die alte BRD zu existieren aufgehört haben. Wer das schon damals fühlte, wen die Situation von 1989 erschütterte, weil sich quer zum Politischen und Historischen ein zivilisationsgeschichtliches Ereignis abspielte, für welches es keinen Namen gab („Wahnsinn, Wahnsinn!“ sagten alle perplex und wahrhaftig), der hat nun beim Lesen von Budes „Zeitdiagnose“ den Wind im Rücken. Der Prozeß der Zivilisation findet in Wellenbewegungen hinter den geschichtlichen Ereignissen statt, aber gleichsam als stillschweigende Voraussetzung der Soziologie als Wissenschaft. Das heißt, wenn Sie ihr zivilisatorisches Fenster aktivieren, dann passen Budes Gegenstände, dann klingen sie wieder.
(Jochen Köhler, Berliner Zeitung 23.03.1999)

Budes „Soziologie als Zeitdiagnose“ stellt sich teils unauffällig, teils polemisch der herrschenden Auffassung der Zukunft, zumal der Luhmannschen Systemsoziologie entgegen, daß Abstand vom Gegenstand nicht schaden kann, weil nur aus der Distanz jene coole „disinvoltura“ des Beobachters möglich ist, die den an Erkenntnis interessierten Soziologen vom engagierten soziologischen Schriftsteller unterscheidet, dem die Intervention in eine Debatte wichtiger ist als das langwierige Widerlegen, Affirmieren oder Neuformulieren von Forschungspositionen. Die Ironie, und das heißt: das Wissen um die Hintergehbarkeit eigenen Standpunktes, die der soziologische Beobachter benötigt, verlegt Bude denn auch in den Gegenstand seiner Untersuchungen: die ironische Nation.
(Nils Werber, taz 11.05.1999)

Wie auch immer, Bude ist kein Tagträumer, der wärmenden Illusionen den Vortritt vor seinen kühl-einfühlsamen Deutungen einräumen würde. Die Summer allerdings, die er zieht, hört sich viel pessimistischer an, als sie vermutlich gemeint ist: „So steht die Soziologie ratlos am Ende ihres Jahrhunderts.“ Wenn Ratlosigkeit stets so substanzreich und intelligent daher käme, bräuchte einem nicht bange zu sein.“
(Andreas Zielcke)